Alles ist gut, solange du weiß bist
Raffinierter war Rassismus-Kritik selten. Lest hier, was Get Out so besonders macht und ob Jordan Peeles Horrorsatire Oscar-Chancen hat.
Chris Washington (Daniel Kaluuya) hat Bedenken. Er ist jetzt schon seit einiger Zeit mit Rose Armitage (Allison Williams) zusammen und liebt sie über alles. Doch nun kommt es zum ersten Treffen mit den Eltern seiner Freundin. Eigentlich kein großes Problem, doch Chris ist nervös, denn er ist schwarz und Rose ist weiß. Rassismus wäre für den Hobbyfotografen nichts Neues und es würde ihn nicht wundern, wenn auch Mr. und Mrs. Armitage Vorurteile hätten. So groß die Sorgen auch sind, sein Vertrauen zu Rose ist größer. Gemeinsam fahren sie raus aufs Land zum abgelegenen Anwesen der Armitages.
Bereits die ersten Minuten von Get Out leisten enorm viel. Regisseur und Drehbuchautor Jordan Peele legt viel Wert darauf, uns Chris und Rose als perfektes Paar zu präsentieren. Die beiden Schauspieler versprühen eine solch natürliche Chemie, dass kein Zweifel an deren harmonischer Beziehung besteht. Vor allem Daniel Kaluuya als Chris ist ein echter Sympathieträger, der es verdient hätte, dass das Treffen mit Roses Eltern konfliktfrei verläuft.
Ein herzliches Willkommen
Auf der Fahrt hinaus aufs Land kommt es zwar zu einem unangenehmen Zwischenfall mit einem leicht rassistischen Polizisten, doch ansonsten ist alles in bester Ordnung. Die Eltern von Rose, Dean (Bradley Whitford) und Missy (Catherine Keener), empfangen den Freund ihrer Tochter herzlich und machen einen netten Eindruck. Mit Humor und guten Manieren lassen sie Chris‘ anfängliche Sorgen beinahe lächerlich wirken. Den ein oder anderen Patzer erlauben sich die beiden dennoch. Sprüche wie „Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich Obama ein drittes Mal gewählt“ scheinen gut gemeint, aber doch irgendwie unangebracht. Chris sieht darüber hinweg. Es könnte schließlich auch schlimmer sein.

Schlimmer wird es auch. Nämlich in dem Moment, als Jeremy (Caleb Landry Jones) auftaucht. Der Bruder von Rose ist frech, alkoholisiert und nicht besonders gut darin, seine Vorurteile für sich zu behalten. Langsam fühlt sich Chris unwohl. Dass die Armitages eine schwarze Dienerin und einen schwarzen Gärtner beschäftigen, die den ganzen Tag nur psychotisch lächeln und stumpf ihrer Arbeit nachgehen, macht es nicht gerade besser. Irgendetwas stimmt hier nicht. Chris‘ bester Freund und humoristischer Sidekick Rod (Lil Rel Howery) steht seinem Kumpel telefonisch zur Seite, ist aber auch keine große Hilfe. Während dieser völlig überzogene und abwegige Verschwörungstheorien aufstellt, fragt sich Chris, wer das Ladekabel seines Handys die ganze Zeit aussteckt, sodass sein Akku beinahe leer ist…
Get Out! Hau ab!
Ich möchte nun nicht weiter auf die Handlung eingehen. Denn zu verraten, wie es mit der Geschichte weitergeht, würde zu viel des Reizes nehmen. Nur so viel sei gesagt: Die Situation eskaliert gewaltig. Daniel Kaluuya macht einen verdammt guten Job dabei, uns durch Get Out zu geleiten. Nach außen hin wahrt er den Schein der Coolness, doch innerlich fühlt er sich alles andere als wohl. Chris handelt stets nachvollziehbar, wirkt dadurch sympathisch und nahbar. Er erlaubt es uns, den Schrecken von Get Out am eigenen Leib zu spüren.
Schrecken allerdings nicht im Sinne von Jumpscares und lauten, kreischenden Tönen. Das Unbehagen in Get Out ist viel subtiler. Auch wenn der Film hin und wieder als Horrorkomödie bezeichnet wird, trifft die Bezeichnung Psychothriller eher ins Schwarze. Wer bei Get Out mit einem Horrorfilm rechnet, könnte deshalb etwas enttäuscht sein. Ebenso diejenigen, die eine Komödie erwarten. Zwar gibt es durchaus ein paar humorvolle Szenen. Anlass zum lautstarken Lachen bietet Get Out aufgrund der bedrohlichen Stimmung aber zu keinem Zeitpunkt.

Prädikat „Racially awkward“
Get Out ist unbequem, auch wenn man ihn als Weißer schaut. Insbesondere in der ersten Hälfte des Films entsteht eine ungemein dichte und spannende Atmosphäre. Die Familie Armitage wirkt eigentlich furchtbar sympathisch, tritt allerdings immer wieder in die Fettnäpfchen der politischen Inkorrektheit. Get Out konfrontiert uns nicht mit plumpen Rassenhass in Form von körperlicher oder verbaler Gewalt, sondern vielmehr mit dem sogenannten positiven Rassismus. Selbst Komplimente stellen, wenn sie sich auf die Hautfarbe einer Person beziehen, eine Form der Ausgrenzung dar.
Klar, ein kleiner Witz hat noch niemandem geschadet, auch nicht wenn dieser auf dummen Vorurteilen basiert. Doch wenn sich die immer gleichen Witze wiederholen, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Dann läuft das Fass irgendwann über und der kleine Spaß vermittelt folgende Botschaft: Du bist anders. Du bist vielleicht ein Mensch, aber keiner von uns. So sehr du es versuchst, dazu zu gehören, du tust es nicht. Doch Chris kann nicht aus seiner Haut, er muss mit den Menschen um sich herum klarkommen. Es ist vielleicht die größte Leistung von Get Out, den subtilen Horror des Rassismus auch für diejenigen greifbar zu machen, die nicht direkt davon betroffen sind. Jordan Peele hatte eine grandiose Idee, indem er die alltäglichen Erfahrungen von Afroamerikanern in den USA mit klassischen Horror-Tropes kombinierte. Satire ist mit ihrer übertrieben Darstellung echter Missstände immer noch eines der besten Mittel, um Veränderung zu bewirken. Wenn das nicht klappt, hilft vielleicht Hypnose…
Bilder: Get Out © Blumhouse Productions
Oscar-Chancen von Get Out:
Get Out könnte bei den Oscars in mehreren Bereichen punkten. Eine Nominierung in der Kategorie Bestes Originaldrehbuch ist sehr wahrscheinlich und auch in Sachen Bester Film dürfen sich die Produzenten des Psychothrillers berechtigte Hoffnungen auf eine Nennung machen. Außenseiter-Chancen gibt es in den Kategorien Beste Regie und Bester Schnitt. Daniel Kaluuya macht zwar einen tollen Job als Hauptdarsteller, doch sein Name fällt in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht in Bezug auf das Oscar-Rennen. Für ihn wird es daher wohl nichts mit einer Nominierung. Wie erfolgreich der Film bei den Oscars sein wird, hängt vor allem von den vorher stattfindenden Preisverleihungen statt. Erst dann wird sich zeigen, wie viel Oscar-Buzz Get Out tatsächlich generieren kann.
Was haltet ihr von Get Out?