Oscadamus erklärt: Das Wahlsystem bei den Oscars

Das Wahlsystem bei den Oscars – Oscadamus erklärt

Wer sich mit den Oscars auseinandersetzt, fragt sich früher oder später, wie die Gewinner überhaupt ermittelt werden. Lest hier, wie das Wahlsystem bei den Oscars funktioniert.

Allgemeines zum Wahlsystem bei den Oscars

Das Wahlsystem bei den Oscars zu verstehen ist gar nicht mal so einfach, zumal die einzelnen Zweige der Academy ihre jeweiligen Kategorien unterschiedlich behandeln. Hier erstmal ein paar allgemeine Infos zum warm werden:

  • Es gibt zwei Arten von Wahlsystemen bei den Oscars, die einfache Mehrheitswahl und das Instant-Runoff-Voting (dazu später mehr).
  • Das Instant-Runoff-Voting findet bei den Nominierungen Anwendung, die einfache Mehrheitswahl entscheidet über den Sieger.
  • Wichtige Ausnahme: Der Gewinner in der Kategorie Bester Film wird auch durch Instant-Runoff-Voting ermittelt.
  • Beim Besten Film sind alle aktiven Academy-Mitglieder wahlberechtigt.
  • Bei den anderen Kategorien dürfen meist nur die jeweiligen Berufsgruppen wählen. Also Kameramänner für die Beste Kamera, Autoren für die beiden Drehbuch-Awards und so weiter.
  • Es dürfen nur Filme nominiert werden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Einfache Mehrheitswahl vs. Instant-Runoff-Voting

Die einfache Mehrheitswahl kennen die meisten sicher noch aus Schulzeiten. Bei der Klassensprecherwahl gibt jeder eine Stimme ab. Der mit den meisten Stimmen gewinnt. Bei Gleichstand kommt es zur Stichwahl, bei der nur die erstplatzierten Kandidaten gegeneinander antreten. Alle anderen werden nun von der Wahl ausgeschlossen, was dazu führt, dass sich die Stimmen neu verteilen und es hoffentlich zu einem eindeutigen Ergebnis kommt. Bei den Oscars funktioniert die einfache Mehrheitswahl sogar noch einfacher. Denn bei Gleichstand gibt es mehrere Gewinner, eine Stichwahl bleibt aus. In allen Kategorien bis auf Bester Film entscheidet dieses Verfahren über den Sieger.

Beim Besten Film, wie auch im Nominierungsprozess, kommt das Instant-Runoff-Voting (auch Wahl mit sofortiger Stichwahl genannt) zum Einsatz. Dieses System unterscheidet sich in zwei entscheidenden Punkten von der einfachen Mehrheitswahl:

1.) Um zu gewinnen, reicht die einfache Mehrheit nicht unbedingt aus. Es muss ein bestimmter Prozentsatz der Stimmen erreicht sein, ansonsten kommt es zur Stichwahl. Wenn, wie bei der Wahl zum Besten Film, es nur einen Sieger gibt, braucht es die absolute Mehrheit, also über 50%. Beim Nominierungsprozess gibt es hingegen mehrere „Gewinner“, dort liegt der Schwellenwert niedriger. Die genaue Formel dazu gibt es später.

2.) Statt wie bei der einfachen Mehrheitswahl ein einziges Kreuz für ihren Favoriten zu machen, dürfen beim Instant-Runoff-Voting die Wähler eine Rangfolge festlegen. Sie wählen also nicht nur ihren Lieblingskandidaten, sondern auch ihren Zweitliebsten, Drittliebsten, Viertliebsten, usw. Das führt dazu, dass die Stichwahl sofort durchgeführt werden kann, ohne erneut Stimmen einzusammeln.

Wahlsystem bei den Oscars
Einfache Mehrheitswahl vs. Instant-Runoff-Voting am Beispiel Klassensprecherwahl

Der Nominierungsprozess:

Gehen wir mal ein Beispiel für einen typischen Nominierungsprozess durch. Die Kategorie Bester Hauptdarsteller hat keine großen Besonderheiten und eignet sich perfekt dafür. Um zu beginnen, benötigen wir die Zahl der Stimmberechtigten.

Leider gibt es aktuell noch keine offiziellen Zahlen, wie viele Academy Mitglieder 2018 für die Oscars abstimmen dürfen. In unserem konkreten Fall suchen wir nach den Schauspielern, da nur sie in der Kategorie Bester Hauptdarsteller wahlberechtigt sind. Bei der letzten Verleihung waren das noch 1.158, allerdings hat die Academy dieses Jahr 106 neue Schauspieler in ihren Kreis eingeladen. Die genaue Zahl ist aber nicht so wichtig, um das Konzept zu verstehen. Gehen wir also der Einfachheit halber von 1.200 Stimmberechtigten aus.

Jeder davon darf nun seine Top Fünf einreichen. Es müssen nicht Fünf seien, weniger gehen auch. Wichtig ist, dass diese nach persönlicher Präferenz geordnet sind. Im ersten Wahldurchgang zählen nur die Erstplatzierten auf den jeweiligen Stimmzetteln. Hier ein mögliches Ergebnis nach der ersten Auszählung.

1.) Ergebnis der Erststimmen:

500 Stimmen für Gary Oldman (nominiert);
200 für Daniel Day-Lewis;
150 für Tom Hanks;
100 für Jake Gyllenhaal;
90 für James Franco;
60 für Timothée Chalamet;
50 für Andrew Garfield;
50 für sonstige Schauspieler

Nach Abzählung der Erststimmen werden diejenigen Kandidaten, welche den erforderlichen Schwellenwert überschritten haben, nominiert. Dieser Wert errechnet sich aus folgender Formel: Gesamtzahl der Stimmen geteilt durch (Anzahl der verfügbaren Plätze + 1). Also in diesem Fall 1200 Stimmen geteilt durch sechs, macht einen Schwellenwert von 200. Gary Oldman hat mit seinen 500 Stimmen die Nominierung sicher, für Daniel Day-Lewis reicht es noch nicht, ihm fehlt eine einzige Stimme.

Normalerweise würden Gary Oldmans Stimmzettel nun einfach beiseite gelegt werden. Allerdings gibt es eine spezielle Überschuss-Regel, die immer dann einsetzt, wenn der Kandidat bei der ersten Zählung den Schwellenwert um mehr als 20 Prozent überschreitet. In unserem Fall, wenn jemand mehr als 240 Mal als Erstplatzierter auf einem Stimmzettel steht. Da Oldman nur 201 Stimmen braucht, um sicher nominiert zu sein, werden auch nur diese angerechnet. Die weiteren 299 verteilen sich nun auf die übrigen Kandidaten. Die Verteilung hängt davon ab, wer die Zweitplatzierten auf den Stimmzetteln sind, auf denen Oldman Erster ist.

Diese Regel hat einen ganz bestimmten Sinn: Bei großen Favoriten wie Gary Oldman dieses Jahr, könnten Wähler sich bei der Erststimme gegen ihn entscheiden, obwohl sie seine Performance am besten fanden. Sie könnten denken, dass dieser sowieso nominiert wird, ihre Stimme an ihn quasi verschwendet ist und sie lieber einem Außenseiter geben. Die Überschuss-Regel sorgt dafür, dass Stimmen an besonders dominante Kandidaten nur teilweise angerechnet werden und der Rest an die jeweilige Zweitstimme geht. Nachdem also feststeht, wer wie viele zusätzliche Stimmen verdient, könnte das Ergebnis wie folgt aussehen.

2.) Anwendung der Überschuss-Regel:

500 – 299 = 201 Stimmen für Gary Oldman (nominiert);
200 + 99 = 299 für Daniel Day-Lewis (nominiert);
150 + 70 = 220 für Tom Hanks (nominiert);
100 + 70 = 170 für Jake Gyllenhaal;
90 + 10 = 100 für James Franco;
60 + 30 = 90 für Timothée Chalamet;
50 + 20 = 70 für Andrew Garfield;
50 + 0 = 50 für sonstige Schauspieler

Nach Anwendung der Überschuss-Regel stehen bereits drei Nominierte fest: Gary Oldman, Daniel Day-Lewis und Tom Hanks. Nun gibt es nur noch zwei Plätze zu vergeben und der Schwellenwert benötigt eine Anpassung. 720 Stimmen sind für die drei Nominierten schon verbraucht. Es bleiben also noch 480 Stimmen. Nach obiger Formel zu Berechnung des Schwellenwerts, teilen wir diese durch drei (da noch zwei Plätze verfügbar sind) und es ergibt den neuen Wert von 160, den es zu übertreffen gilt. Jake Gyllenhaal ist somit nominiert und erneut brauchen wir einen neuen Schwellenwert für den letzten verfügbaren Slot. 310 verbleibende Stimmen durch zwei ergibt einen Schwellenwert von 155.

3.) Nach Anpassungen des Schwellenwerts: 

201 Stimmen für Gary Oldman (nominiert);
299 für Daniel Day-Lewis (nominiert);
220 für Tom Hanks (nominiert);
170 für Jake Gyllenhaal (nominiert);
100 für James Franco;
90 für Timothée Chalamet;
70 für Andrew Garfield;
50 für sonstige Schauspieler

Da nun niemand mehr ohne Weiteres den Schwellenwert überschreitet, muss eine neue Maßnahme her. Von nun an werden nacheinander die Schauspieler mit den wenigsten Stimmen gestrichen. Zuerst erwischt es diejenigen, die so wenig Stimmen haben, dass ich sie unter sonstige Schauspieler zusammengefasst habe. Ein mögliches Ergebnis wäre folgendes.

4.) Nach Elimination der sonstigen Schauspieler:

201 Stimmen für Gary Oldman (nominiert);
299 für Daniel Day-Lewis (nominiert);
220 für Tom Hanks (nominiert);
170 für Jake Gyllenhaal (nominiert);
100 + 20 = 120 für James Franco;
90 + 20 = 110 für Timothée Chalamet;
70 + 10 = 80 für Andrew Garfield;
50 – 50 = 0 für sonstige Schauspieler (eliminiert)

Da immer noch keiner den Schwellenwert von 155 überschritten hat, wird Andrew Garfield eliminiert. In meinem Beispiel gehen 50 seiner Stimmen an Chalamet und 30 an Franco.

5.) Nach Elimination von Andrew Garfield:

201 Stimmen für Gary Oldman (nominiert);
299 für Daniel Day-Lewis (nominiert);
220 für Tom Hanks (nominiert);
170 für Jake Gyllenhaal (nominiert);
110 + 50 = 160 für Timothée Chalamet (nominiert);
120 + 30 = 150 für James Franco (knapp verloren;
80 – 80 = 0 für Andrew Garfield (eliminiert)

Endlich haben wir ein Ergebnis. Die Nominierten sind Gary Oldman, Daniel Day-Lewis, Tom Hanks, Jake Gyllenhaal und Timothée Chalamet. Ihr seht: Das Wahlsystem bei den Oscars ist eine Wissenschaft für sich. Für James Franco hat es in unserem Beispiel leider nicht gereicht.

Die Wahl des Gewinners

Die Wahl des Gewinners folgt der einfachen Mehrheitswahl und ist daher um einiges simpler. Hier gibt jeder eine Stimme für seinen Favoriten ab und das war es auch schon.

Ergebnis:
550 Stimmen für Gary Oldman (gewonnen);
200 für Daniel Day-Lewis;
170 für Tom Hanks;
130 für Jake Gyllenhaal;
150 für Timothée Chalamet

Auch wenn Gary Oldman keine absolute Mehrheit von über 50 Prozent hat, gewinnt er den Oscar. Ganz einfach, weil er die meisten Stimmen hat. Im Vergleich zum Nominierungsprozess angenehm simpel.

Noch Fragen zum Wahlsystem bei den Oscars?

Quellen: Vox, GoldDerby, AwardsDaily

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